Unstrittiges und Strittiges
kennzeichneten den Ablauf der letzten Sitzung des Stadtrats am 4.Juni, die wieder wegen der Coronakrise im Atrium des Schollgymnasiums stattfand.
Die erste Hälfte der Veranstaltung verlief ohne Diskussionen. Hier ging es unter anderem um jene Beschlüsse, die notwendige baurechtliche Voraussetzungen
für die geplanten Erweiterungen des traditionsreichen Lederinstituts am historischen Standort darstellen. Sie umfassten die Stellungnahmen und Anregungen
zum Vorhaben, den Durchführungvertrag und schließlich den Beschluss der Satzung zum vorhabenbezogenen Bebauuungsplan V025
Forschungs- und Technologiezentrum
am Meißner Tor
.
Die Abgeordneten begrüßten danach einhellig das Vorhaben, auf der beräumten Brache einer ehemaligen Fabrik an der Berthelsdorfer Straße eine neue
Kindertageseinrichtung mit 100 Betreuungsplätzen zu errichten. Eine Ansicht des künftigen Bauwerks von der Berthelsdorfer Straße aus zeigt die nebenstehende Abbildung.
Ebenfalls einstimmig wurde beschlossen, dass coronabedingt für den Zeitraum vom 1. bis 17. Mai keine Elternbeiträge zu zahlen sind. Kaum Aussprachebedarf gab
es auch bei Beschlüssen über die Förderung eines privaten Bauvorhabens in der Altstadt
und die Nichtwahrnahme eines Vorkaufsrechts. Danach folgten in der Tagesordnung fünf Fraktionsanträge. Solche Anträge sind selten, weil es für die ehrenamtlich tätigen Abgeordneten
schwierig ist, wirklich neue Themen aufzugreifen und in abstimmbare Anträge umzusetzen. Oberbürgermeister und Verwaltung sind hierbei nicht zuletzt wegen des bequemeren Zugangs
zu den relevanten Informationen eindeutig im Vorteil. Das kann zu einer von vornherein abschätzigen Beurteilung solcher Vorschläge aus dem Stadtrat führen. Unsere Fraktion war
davon betroffen, als sie die Bürgerbeteiligung bei der Neugestaltung des Bahnhofs anregte. Man befand damals sogar, dass diese Form demokratischer Teilhabe
rechtlich unzulässig sei. Solche Schwierigkeiten haben andere Parteien offenbar nicht. Der Antrag der
CDU/FDP-Fraktion mit der Überschrift:
Investitionen verstärken, Mittelstand unterstützen, Arbeitsplätze sichern!
wurde - wie es sich bei einem so werbewirksamen Aufruf gehört - auch entsprechend bevorzugt
behandelt. Schon die Einordnung als erster der fünf Anträge machte das deutlich, denn sie wich erkennbar von der Eingangsreihenfolge ab. Außerdem gab es eine zehnseitige
wohlwollende Stellungnahme mit Empfehlungen der Verwaltung für einen abstimmungsfähigen Beschlussvorschlag, der dann natürlich übernommen worden ist. Abschließend bekundete der Oberbürgermeister seinen ausdrücklichen Dank dafür,
dass die größte Fraktion des Freiberger Stadtrates den
Kurs der Stadtverwaltung stützt.
Und weiter:
Die geforderten Maßnahmen werden bereits durch die Stadt erarbeitet bzw. umgesetzt.
Zusammengefasst verlangen die
Einreicher mehr Investitionen, die über das Beschränken freiwilliger Leistungen, das Erschließen zusätzlicher Fördermöglichkeiten und Einsparungen bei den Personalkosten
finanziert werden sollen. (Letzterem ist der zweite Antrag gewidmet, den wir nicht gesondert besprechen). Wir sind jedoch überzeugt, dass die für 2020 vorgesehenen Investmaßnahmen mit einem
Gesamtvolumen von reichlich 50 Millionen Euro die Obergrenze des Machbaren darstellen. Man muss bedenken, dass damit die bisherige Rekordsumme von 41 Millionen aus dem Jahr 2007
nochmals sehr deutlich übertroffen würde. Mehr ist weder mit den voraussichtlich vorhandenen finanziellen Ressourcen noch mit dem
für die Betreuung der Maßnahmen einsetzbaren Fachpersonal zu bewältigen. Wir warnen auch davor, in dieser für das gesamte Zusammenleben in unserer Kommune schwierigen Phase, womöglich ernsthaft
den
Abbau freiwilliger Leistungen zu betreiben. Der Vorsitzende der Einreicherfraktion, SR Ittershagen, verneinte in seiner Begründungsrede
diese Absicht. Eine konkrete Variante zusätzlicher Investitionen benannte er auch nicht. So blieb letztlich offen, was eigentlich wie gemacht werden soll. Vornehm ausgedrückt nennt man so
etwas Aktionismus. Wir begleiten bekanntlich die Arbeit der Stadtoberen durchaus kritisch. Im Hinblick auf die Coronakrise haben sie jedoch zweifellos die richtigen Maßnahmen zeitnah ergriffen.
Der folgende Antrag der
AfD-Fraktion zielte darauf ab, den Geltungsbereich der so genannten
Brötchentaste
zu erweitern, d.h. zusätzliche Gebiete der Altstadt in
das Regime des kostenfreien Kurzzeitparkens einzubeziehen. Die geringfügige Ersparnis soll mehr Autofahrer zum Besuch der Altstadt anregen und den Umsatz der Innenstadthändler fördern.
Diesem angestrebten Vorteil stehen Mindereinnahmen an den umgerüsteten Parkscheinautomaten als Hauptnachteil gegenüber. Sie waren das wichtigste Argument in der ablehnenden Stellungnahme
der Verwaltung. Sie wurde außerdem durch die Erläuterungen eines externen Sachverständigen untersetzt. Dem Vorschlag für zusätzliche Brötchentasten stimmte man dennoch mehrheitlich zu.
Allerdings ist nun als Kompromiss die Anzahl der hinzukommenden Gebiete auf die Hälfte vermindert. Der OB enthielt sich der Stimme, was der klaren Ablehnung des Antrags durch
die eigene Verwaltung widersprach. Er begründete das mit einer sich im Vorfeld abzeichnenden konsensualen Stimmung. Soll man also künftig die Abgabe seiner Stimme an einer erkennbaren
Mehrheitsmeinung ausrichten?
Wir haben uns ebenfalls enthalten. Nach unserer Meinung ist die Brötchentaste an sich ein sinnvolles Angebot. Für nicht zielführend halten wir aber, die Anwendungsbereiche zu erweitern,
weil schon rein theoretisch der Grenznutzen sinken muss (erstes Gossensches Gesetz). Die Mindereinnahmen und der erforderliche Mehraufwand werden ihn dann überkompensieren. Vielleicht sollte
man nach einem Jahr das Ganze genauer untersuchen. Wichtig wäre auch, über Beschränkungen für derartige Anträge nachzudenken. Sonst ist der Anreiz groß, die Anwendungsgrenzen in den
kommunalen Regelwerken immer weiter zugunsten der jeweiligen Nutzer zu verschieben. Das ist dem Gemeinwohl nicht zuträglich.
Unser Antrag zur Erstellung eines Telemedizin-Konzeptes für die Modellregion Freiberg wurde engagiert durch Simone vorgetragen. Der Vorschlag zielte darauf ab, die bereits durch die
Stadtverwaltung ergriffenen unerlässlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie sinnvoll zu ergänzen. Es gab bekanntlich sogar offizielle Empfehlungen, bei vermuteten Bagatellfällen auf Arztbesuche zu verzichten und
Krankenscheine auf Anruf auszustellen. Ohne große Mühe kann man im Netz positive Stellungnahmen dazu finden, mit fundierten Methoden der Telemedizin auf solche Ausnahmesituationen
zu reagieren. Wir zitieren hier die ALLIANZ:
Covid-19 fordert viele Opfer und belastet die Gesundheitssysteme weltweit. Telemedizin, die digitale Bereitstellung von medizinischen Dienstleistungen und Informationen, kann
in diesen schwierigen Zeiten sowohl für Patienten als auch für Ärzte eine gewisse Entlastung bedeuten...
Allianz SE | München | 06.04.2020
Die Stadtverwaltung lehnte unseren Antrag ab und stützte sich dabei überwiegend auf §4 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Sachsen, gemäß dem Landkreise und kreisfreie Städte
zuständige Behörden sind. Wir kennen diese Gesetzeslage natürlich. Allerdings besagt sie nicht zwingend, dass eine kreisangehörige Gemeinde keinerlei gesundheitsfördernde Maßnahmen
für ihre Einwohner ergreifen darf. Sonst wären ja zum Beispiel die Ansiedlungsprämien für Ärzte unzulässig gewesen, die die Stadt Freiberg mehrfach gewährte.
Als nächstes Gegenargument führte die Verwaltung an, dass die Kommunen nicht als mögliche Fördermittelempfänger erwähnt seien. Das hielt sie wohl selbst nicht für einen hinreichenden Grund - also
kamen zum Schluss noch die hohen Kosten und die ohnehin durch solche Maßnahmen wie den Bahnhof überlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Spiel..... In Summe ist das schon fast eine Realsatire.
Hier sei daran erinnert, dass es unter 5. im angenommenen CDU/FDP-Antrag heißt:"Der Oberbürgermeister wird beauftragt,
alle bestehenden Fördermittel des Landes,
des Bundes und der EU zu eruieren und auf Nutzbarmachung für die Stadt Freiberg zu prüfen". Es gibt - wie der Oberbürgermeister in der Sitzung beiläufig erwähnte - hunderte Förderprogramme.
Für diesen erheblichen zusätzlichen Aufwand bedankte er sich artig - in unserem Fall war es nicht einmal möglich, anhand des bereits bekannten Förderprogramms ein Büro mit der Erarbeitung eines Konzepts
zu beauftragen. Hier waren angeblich die durch uns geschätzten Kosten zu niedrig angesetzt. Wie hoch wird wohl der Aufwand sein, hunderte Förderprogramme zu eruieren?
Leider müssen wir aber abschließend zu diesem Thema selbstkritisch konstatieren, dass es uns nicht gelungen ist, eine Mehrheit der Stadträtinnen und Stadträte zu überzeugen.
Wir müssen also künftig noch besser für unsere Ideen werben.
Der Antrag der Fraktion
Die Linke/Haus-Grund:
"Beratung zur aktuellen und mittelfristigen Finanz- und Haushaltslage der Stadt Freiberg" ist am 04.06. nicht behandelt worden, weil der unter 1. geforderte Bericht der Kämmerin
im Julistadtrat erfolgen soll. Prinzipiell handelt es sich um eine Art Gegenentwurf zum CDU/FDP - Antrag, weil er durch die Sorge bestimmt wird, dass die verfügbaren Finanzierungsmittel
bedingt durch die Coronakrise nicht ausreichen könnten. Argumentativer Schwerpunkt sind eingeplante, aber letztlich nicht ausgereichte Fördermittel. Dafür soll die Kämmerin einen "Notfallplan" erarbeiten.
Diese Schwerpunktsetzung soll hier nicht diskutiert werden. Wir gehen darauf im Anschluss an den Julistadtrat ein.
Die Verwaltung hat zu diesem Antrag umfangreiche Daten zusammengestellt. Die Schlussbemerkungen des Oberbürgermeisters hierzu lauten:
Die Zusammenstellung dieser Stellungnahme nebst Anlagen hat die Verwaltung mehr als 30 Stunden beansprucht. Wir bitten künftig von dieser Art Anträge abzusehen.
Eine Information des Stadtrates zur Haushaltslage der Stadt Freiberg erfolgt ohnehin bereits pflichtgemäß und regelmäßig durch den Oberbürgermeister.
Als Fazit aus dem Umgang mit den bewussten fünf Anträgen bleibt, dass letztlich ALLE zunächst durch die Verwaltung abgelehnt worden sind.
Leider werden sie wohl nach wie vor nur als eine Art unberechtigter Kritik aufgefasst, sind aber sicher auch durch den Wunsch nach echter
Mitgestaltung getragen, die über bloße Zustimmung oder Ablehnung der Verwaltungsvorlagen hinausgeht.
Drei Anträge fanden schließlich doch noch eine Mehrheit. Der Wermutstropfen: Alle waren für das Sparen. Die Einen aber bei den Ausgaben für freiwillige Leistungen und Personal - die Anderen jedoch bei den Einnahmen.
Es leuchtet ein, dass die Schnittmenge aus diesen Mengen nicht leer sein kann. Ein Teil der Abgeordneten hat folglich den Widerspruch nicht bemerkt.
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr.
Goethe:Faust. Der Tragödie zweiter Teil.