Akzeptanz

Anmerkungen von A.Böttcher

Ein Spaßvogel meinte einst mit gewisser Anleihe bei Wilhelm Busch: "Die Demokratie hat viel für sich, gesetzt den Fall, man stimmt wie ich." In satirischer Überhöhung wird darauf angespielt, dass die Mehrheit eben nicht selten anderer Meinung ist als man selbst. Man muss lernen, das zu akzeptieren. Dies schließt die Anerkennung der Gesetze ein, denn auch sie sind irgendwann durch Mehrheiten beschlossen worden. Wenn nun speziell in einem Wahlgesetz festgelegt ist, dass in einer bestimmten Situation ein Losverfahren anzuwenden ist, dann ist das keinesfalls undemokratisch. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass die Griechen schon vor über zweieinhalb Jahrtausenden als Begründer der frühesten Demokratien sogar fast sämtliche Ämter unter allen Staatsbürgern verlosten. Sie gingen eben davon aus, dass alle Bürger gleichermaßen für alle Ämter geeignet sind. Wir haben uns heute von dieser Vorstellung gelöst und sie durch Listen von Kandidaten ersetzt, die Parteien, Wählervereinigungen usw. als persönlich besonders geeignet vorschlagen. Aus den Anzahlen der Stimmen, die auf die Listen bei der Wahl entfallen, müssen anschließend die Anzahlen der Sitze ermittelt werden, die den Vertretern der Listen im zu besetzenden Gremium zustehen. Dafür sind verschiedene Methoden anwendbar, die bereits Ende des 18.-ten Jahrhunderts führende Staatsmänner der USA nach der Gründung dieser ersten modernen Demokratie entwickelten (Jefferson, Hamilton, Adams, Webster). Sie wurden im neunzehnten Jahrhundert durch europäische Mathematiker gewissermaßen wiederentdeckt, als sich auch auf dem alten Kontinent zunehmend die Notwendigkeit ergab, Wahlen nach allgemein als "gerecht" empfundenen Maßstäben auszuwerten. Das ist schwieriger, als es sich oberflächlich betrachtet ausnimmt. Immerhin müssen die Relationen in den Wahlergebnissen, also meist zwischen großen Zahlen, stark verkleinert mit möglichst geringer Verzerrung abgebildet werden. Natürlich kann im Rahmen dieser Betrachtung nicht auf die tiefer liegenden mathematischen Zusammenhänge eingegangen werden, aber auch rein anschaulich ist klar, dass sich der Wählerwille nur in Ausnahmefällen ideal widerspiegeln lässt. Mit anderen Worten: Die Verfahren haben unweigerlich verschiedene Vor-und Nachteile, deren demokratische Anschauung und Bewertung sich allerdings mit der Zeit änderte. Die zur Auswertung der Bundestagswahlen eingesetzten Methoden belegen das anschaulich. Zunächst wurde das Verfahren nach d'Hondt angewandt. Es hat den Nachteil, die stärkeren Parteien zu bevorteilen. Deswegen gilt diese Auswertung nicht nur bei Bundestagswahlen, sondern inzwischen auch bei den Kommunalwahlen in den meisten Bundesländern als nicht mehr zeitgemäß. Für die Wahlen vom 11. bis zum 16. Bundestag setzte man statt dessen das Verfahren nach Hare-Niemeyer ein. Es ist am leichtesten verständlich und wird trotz einer geringfügigen Bevorzugung der kleineren Parteien auch rein anschaulich als am gerechtesten empfunden. Allerdings sind bei bestimmten Konstellationen Paradoxien möglich, die zu einer Abkehr auch von diesem Verfahren führten. Zum Beispiel kann die Erhöhung der Sitzanzahl im Gremium um eins zur Folge haben, dass sich bei ansonsten unveränderten Verhältnissen die Sitzanzahl einer Partei um eins vermindert (Alabamaparadoxon). Heute wird bei Bundestagswahlen das Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers eingesetzt, das systematisch gesehen eine Abwandlung der d'Hondt-Methode darstellt, die deren genannten Nachteil vermeidet. Interessant ist aber, dass in gewissen Ausnahmefällen nach wie vor ein Losentscheid durch den Bundeswahlleiter notwendig sein kann. Das in Sachsen bei der Auswertung von Kommunalwahlen immer noch gesetzlich vorgeschriebene d'Hondt-Verfahren kann man mit dem Skript testen. Die ursprünglichen Freiberger Ergebnisse zeigen, dass zunächst tatsächlich ein Losentscheid zwischen den Listen der SPD und der Grünen notwendig war, weil die Höchstzahl für den 34.-ten Sitz in beiden Fällen genau 1194 betrug. Ändert man im Skript den Stimmenanteil der SPD auf den endgültigen Wert 5976 ab, wird der Losentscheid entbehrlich. Unabhängig von den speziellen Resultaten der Freiberger Wahl erscheint es jedoch sinnvoll, eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes zum gerechteren Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers anzustreben.

Zurück zur Startseite